Aktuelle Predigt

Liebe Schwestern und Brüder,
irgendwie ist das verrückt: Wenn sich heute jemand hinstellt und sagt „Also ich finde die Kirche klasse“, dann wird er meist milde belächelt oder mitleidig angeschaut. Wenn er aber sagt „Die Kirche lügt und betrügt“, dann verkauft er 50 Millionen Bücher. Toll, was? Habe ich vielleicht den falschen Job? Woher kommt das, dass Bücher wie „Da Vinci Code“ und andere Romane über Verschwörungstheorien sich so gut verkaufen? Was ist daran so faszinierend? Und was ist dran an diesen Theorien? Dem würde ich gerne auf den Grund gehen.

Nun mag es ja Menschen geben, die weder das Buch, noch den Film "Sakrileg" kennen. Darum hier kurz die Geschichte im Sauseschritt. Im Mittelpunkt steht ein amerikanischer Professor für religiöse Symbole, der in Paris über eine Leiche stolpert. Während er – als Verdächtiger selbst auf der Flucht und begleitet von der Enkelin des ermordeten Louvre-Direktors – in einer fesselnden Schnitzeljagd dem Mord nachgeht, stößt er auf ein dunkles Geheimnis des Christentums. Die Christen im Buch sind übrigens meistens fiese Katholiken, die sich selbst auspeitschen und für jede Schandtat gut sind.

Und was ist das dunkle Geheimnis? Tja: Historisch war angeblich alles ganz anders. Jesus war zwar ein gewaltiger Prophet, der viele Menschen inspirierte, nur eines war er nicht: göttlich. Stattdessen heiratete er Maria Magdalena und hatte eine Tochter mit ihr. Maria sollte auch als Chefapostelin die neue Bewegung leiten, was der ehrgeizige Petrus jedoch verhindert hat. Sie floh nach Frankreich – und heute noch leben Nach-kommen Jesu unter uns. Die Kirche jedenfalls unterdrückte die eigentliche Liebeslehre Jesu und alle Dokumente, die die Wahrheit hätten verraten können. Stattdessen beförderte Kaiser Konstantin – im 4. Jahrhundert – Jesus beim Konzil von Nicäa mit knapper Mehrheit zum Gott. Er war es auch, der die wahren Berichte von Jesus verschwinden ließ und das in Auftrag gab, was wir das Neue Testament nennen. Nur wenige Treue, wie etwa die Prieuré de Sion, eine geheime Bruderschaft, zu der auch Isaac Newton und Leonardo da Vinci gehörten, trugen die Wahrheit durch die Zeiten. Bekämpft werden sie von einer geheimen Gruppe im Vatikan, die die Wahrheit über Jesus und Maria Magdalena vertuschen will, und die auf die Befehle eines „Lehrers“ hört. Diesen Lehrer kennt niemand, weil er seine Weisungen in Form von geheimen Telefongesprächen gibt.

Also, liebe Gemeinde, es stellt sich die Frage: Sagt die Kirche die Wahrheit? Oder nicht? Die Kernfragen dabei lauten: Gibt es neben dem Neuen Testament Texte über Jesus? Sind diese Texte zuverlässiger als unsere Evangelien? War Jesus mit Maria Magdalena verheiratet? Hatten sie ein Kind? War Leonardo da Vinci Mitglied eines Geheimbundes? War Jesus ein Mensch oder Gott? Wie lange brauchen wir, um alle diese Fragen zu beantworten?

Nun gibt es darauf – Gott sei Dank – tatsächlich Antworten. Sie lauten: Ja, nein, nein, nein, nein, beides und 15 Minuten. Na ja, das war jetzt vielleicht ein bisschen schnell. Also noch mal langsam. Fangen wir vorn an. Die Schriften des Neuen Testamentes standen bereits am Ende des zweiten Jahrhunderts weitestgehend fest. Es gab also keine von Kaiser Konstantin befohlene Auswahl im vierten Jahrhundert. Richtig ist aber, dass die Sammlung heiß diskutiert wurde. Am Ende kamen die Schriften ins Neue Testament, die erstens am breitesten bezeugt waren, also nicht nur Privatmeinungen waren, und die zweitens mit allen anderen Schriften in Einklang standen. Jesus konnte ja nicht einmal so und einmal so geredet und gedacht haben, er wird sich nicht komplett selbst widersprochen haben. Darum sind solche Schriften, in denen ein ganz anderer Jesus als wir ihn kennen gezeichnet wurde, nicht aufgenommen. So auch die, auf die sich das Buch „Sakrileg“ und unser Escaperoom beziehen. Zum Beispiel das Philippusevangelium. Das ist viel jünger als Matthäus, Markus, Lukas und Johannes, über 100 Jahre später entstanden. Und es wurde von so genannten Gnostikern geschrieben, Anhängern einer nichtchristlichen Religion, die das Christentum gerne ein-verleiben wollten. Sie schrieben auch einige Evangelien, also Lebensgeschichten Jesu, nach dem Grundsatz: „Wir schreiben auch mal ein paar Evangelien – und zwar so, dass sie zu unserer Religion passen.“ Im so entstandenen Thomasevangelium findet sich übrigens der Satz: „Die Frauen sind des Lebens nicht würdig!“ Sind wir mal froh, dass das nicht ins Neue Testament aufgenommen wurde.

Zur Frage, ob Jesus Gott war: Schon in den frühesten Schriften, die wir kennen, wird eindeutig gesagt, dass Jesus von Gott kommt und Gott ist. Im berühmten Philipperhymnus heißt es: „Er, der Gott gleich war, legte seine göttliche Gestalt ab und sah aus wie ein Mensch.“ Das wurde ungefähr im Jahr 60 aufgeschrieben, ist aber wahrscheinlich noch älter. Wie das zu verstehen ist, wird heute noch diskutiert, aber die Behauptung, Konstantin hätte die Göttlichkeit Jesu erst im Jahre 325 festgelegt, ist Unsinn. Die Menschen sahen von vorneherein in Jesus jemanden, der mehr war als ein normaler Mensch. Was er sagte und was er tat, war mit normalen Maßstäben nicht zu erklären, vor allem deshalb nicht, weil er auch mit Leben und Tod umgehen konnte. Er weckte Tote auf und erstand am Ende selbst von den Toten. Und weil die Menschen dieser Zeit mit Göttern in Menschengestalt oder Nachkommen von Göttern durchaus Erfahrungen hatten, lag der Schluss nahe, in Jesus den einen Gott zu sehen, an den man glaubte. Ob Jesus selbst sich als Gott bezeichnet hat, ist nicht ganz klar. Als Gottes Sohn, ja. Und im Johannesevangelium sagt er: Ich und der Vater sind eins. Aber letztlich bleibt das eines unserer größten Geheimnisse: wie man Gott und Jesus – und den Heiligen Geist – zusammendenkt.

Es gibt übrigens in den letzten Jahren eine Verschiebung in dieser Frage. Wenn ich Konfirmandinnen oder Konfirmanden frage: War Jesus nur Mensch oder auch Gott?, dann sagt knapp die Hälfte: Klar, er war auch Gott! Oder Gottes Sohn. Über die Hälfte findet aber, dass die Bedeutung von Jesus nicht geschmälert wird, wenn er nur ein besonders guter Mensch war. Wenn er ganz besonders eng mit Gott verbunden war. Ein Vorbild kann er ja trotzdem sein. Und wenn ich dann die alte Dogmatik bemühe, dass er Gott gewesen sein muss, weil er sonst nicht retten könne, nicht mit Gott versöhnen, nicht die Welt regieren, und weil man sonst auch nicht zu ihm beten könne: dann ist die Antwort: Na ja, dafür haben wir ja Gott. Das reicht doch. Sie sehen: Manchmal ist es gut, wenn man darüber nachdenkt, was man eigentlich glaubt. Und miteinander darüber redet. Das machen wir ohnehin viel zu selten.

Nun zu der Frage, ob Jesus verheiratet war. Es gibt im Neuen Testament keinen Hinweis darauf. Man könnte zwar argumentieren, dass Rabbis, also religiöse Lehrer wie Jesus, damals so ziemlich alle verheiratet gewesen waren. Aber eben doch nicht alle. Johannes der Täufer war auch unverheiratet, und in der Kommune der Essener, einer Art Kloster, lebten lauter unverheiratete Geistliche. Es ist schon denkbar, dass Jesus verheiratet war. Allerdings wäre dann merkwürdig, warum das in den ersten hundert Jahren niemand aufgeschrieben hat. Aus Frauenfeindlichkeit kann das jedenfalls nicht gewesen sein, weil das Christentum gerade durch die Gleichstellung der Frauen so erfolgreich war. Frauen bildeten nachweislich schon in den ersten Gemeinden die Mehrheit. Bei den Ausgrabungen einer frühen Gemeinde fand man nur 16 Männergewänder, aber 82 Frauengewänder und 47 Paar Frauenschuhe. Gut, vielleicht gehörten die Klamotten und Schuhe alle einer Frau. Nein, Unsinn. Der Geheimbund der Brüder von Sion wurde übrigens erst 1956 von einem ziemlich rechtsorientierten Mann gegründet. Leonardo da Vinci und Isaak Newton können dem Bund also - eigentlich – kaum angehört haben.

Der letzte Punkt ist das Faszinierendste an der ganzen Geschichte: Die Frage, ob es Nachkommen von Jesus gibt. Hier haben sich die meisten Kritiken entzündet und die meisten Leute aufgeregt. Warum eigentlich? Nehmen wir mal an, Jesus wäre tatsächlich mit Maria Magdalena verheiratet gewesen und hätte ein Kind gehabt. Soll ich Ihnen was sagen: Das ist zwar ein ungewohnter Gedanke. Aber für meinen Glauben würde er überhaupt keinen Unterschied machen. Jesus war ganz Mensch. Warum sollte er nicht eine Tochter gehabt haben? Wenn sich erweisen würde, dass er nicht Gottes Sohn war, das fände ich schlimm. Aber nicht, dass er die Liebe, von der er gepredigt hat, auch körperlich lebte. Ungewohnt und anstößig ist dieser Gedanke eigentlich nur, weil die Theologie über die Jahrhunderte etwas anderes behauptet hat. Ein Sakrileg, eine Entweihung wäre er nicht.

Man könnte zwar darüber diskutieren, ob dann Jesu Tochter auch göttlich wäre und ob es heute noch Nachkommen gäbe, die auch irgendwie göttlichen Ursprungs wären. Aber mal ehrlich: Was soll leibliches Abstammen von Jesus für einen Unterschied machen? Ob Jesus Nachkommen hat, ist für uns Christen eigentlich eine ganz dumme Frage. Natürlich hat er. In der Bibel steht: „Alle, die wir an Jesus Christus glauben, sind Gottes Kinder.“ Ich. Und du auch. Gott sagt: „Du bist mein Kind. Und ich wünsche mir nur eines, nämlich dass du das akzeptierst und annimmst, mich als Vater annimmst, der der Ursprung und Ziel des Lebens ist.“

Aus dieser Sicht, liebe Gemeinde, ist der Film „Sakrileg“ am Ende sogar sehr fromm. Da sagt der Professor zu Sophie, die gerade herausgefunden hat, dass sie eine Nachfahrin Jesu ist: „Bis vor kurzem wusstest du nicht, dass du von Jesus abstammst. Jetzt weißt du es. Ob das aber in deinem Leben einen Unterschied macht, das hängt von dir ab.“ Und wie alle Menschen hat Sophie Angst, sich das einzugestehen: „Ich bin ein Kind Gottes!“ Nicht nur ein irgendwie entstandener Mensch. Sondern Kind Gottes. Von Gott geliebt. Von Gott gewollt. Mit ihm verbunden.

Du bist ein Sohn oder eine Tochter Gottes und damit ein Nachfahre von Jesus. Ob das aber in deinem Leben einen Unterschied macht, das entscheidest du. Ob du als Kind Gottes anfängst, den Himmel zu suchen. Ich … (Das Handy klingelt) Gewiss, Lehrer! Ich habe genau das gesagt, was du mir aufgetragen hast. Jetzt wollen wir mal sehen, ob die Leute es glauben.
 

- Jan Freiwald, 21.07.2024