Was mich stark macht
Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater, der der rechte Vater ist über alles, was da Kinder heißt im Himmel und auf Erden, dass er euch Kraft gebe nach dem Reich-tum seiner Herrlichkeit, stark zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Men-schen, dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne und ihr in der Liebe eingewurzelt und gegründet seid. So könnt ihr mit allen Heiligen begreifen, welches die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe ist, auch die Liebe Christi erken-nen, die alle Erkenntnis übertrifft, damit ihr erfüllt werdet mit der ganzen Gottesfülle. Dem aber, der überschwänglich tun kann über alles hinaus, was wir bitten oder ver-stehen, nach der Kraft, die in uns wirkt, dem sei Ehre in der Gemeinde und in Christus Jesus zu aller Zeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen. (Eph 3, 14-21)
Liebe Schwestern und Brüder,
vom Himmelfahrtstag her kennen wir die Geschichte der Jünger, wie sie Lukas er-zählt. Wir wissen von ihrem sehnsuchtsvollen Nachschauen in den Himmel, Jesus hin-terher, und wie sie warteten, dass das geschieht, was ihnen Jesus Christus versprochen hat: Das Kommen seines Geistes, das Kommen des Trösters. Die zehn Tage zwischen Himmelfahrt und Pfingsten sind eine Zeit wie zwischen Karfreitag und Ostern, eine Zeit des Seins ohne Christus, eine Zeit der Sehnsucht nach ihm oder eine Zeit, in der es der Glaube schwer hat. Es ist eine Zeit, in der die Seele eine Stärkung gebrauchen kann, damit ihr der Glaube nicht abhanden kommt. Ein Wort, das die Sehnsucht wach hält. Oder jemanden, der für mich betet.
Wir kennen solche Zeiten in unserem Leben. Zeiten der Sehnsucht nach einem Zeichen von Gott, Zeiten des Wartens auf eine Stärkung des Glaubens, der Liebe in uns. Und je älter wir werden, desto gründlicher lernen wir, wie groß oder sagen wir besser wie klein die Wahrheit des Sprichwortes ist, wonach jeder seines eigenen Glückes oder Unglückes Schmied ist. Und so wahr es ist, dass man im Leben immer am besten bei sich selbst anfangen sollte, um etwas zum Guten zu wenden, so wenig wahr ist es, dass wir das in den meisten Fällen auch alleine schaffen. Es stimmt schon, dass einem heute gesagt wird: Du musst das alleine schaffen. Du musst dich selbst verwirklichen, deine Selbstkompetenz stärken. Dich optimieren. Aber das geht an der Lebenswirklichkeit vorbei. Und die lautet: Wir leben nun einmal seit unserer Geburt in Beziehu-gen. Wir sind Beziehungswesen durch und durch vom ersten Schrei bis zum letzten Atemzug. Das Leben ist nun einmal – ob uns das gefällt oder nicht – eine einzige Beziehungskiste.
Wie schwer ist das und wie lange brauchen wir, bis wir das wirklich verstehen? Bis wir verinnerlichen, dass Beziehungen etwas Lebendiges sind, die man im wirklichen Sinn nur zu lebendigen Wesen haben kann? Dinge soll man benutzen, Menschen und andere lebendige Kreaturen soll man lieben. Unsere Welt und unsere Gesellschaft schaut in vielen Bereichen so gruselig aus, weil es leider sehr viele gibt, die das genau anders herum machen: Menschen benutzen und Dinge lieben. Aber wie tragisch und ungerecht wir das finden mögen: Das schöne Auto und das fette Bankkonto lieben nicht zurück.
Darum ist es gut, wenn wir uns, gerade zwischen Himmelfahrt und Pfingsten, in dieser Interimszeit, besinnen, wonach wir in diesem Leben eigentlich suchen. Eine solche Besinnung kann weh tun. Sie kann Enttäuschungen wieder fühlbar machen und an verlorene Träume erinnern. Das Dumme ist, dass Beziehungen eben nicht aus Glas sind. Eine Liebe zerbricht nicht, sie ist etwas Lebendiges. Und Lebendiges kann nur sterben, vertrocknen, verwesen, verrotten. „Du erinnerst dich noch an das Magendrehn und hast Angst nochmal so kaputtzugehn“, hat Udo Lindenberg, der letzte Woche 77 geworden ist, in dem Lied „Bitte keine Lovestory“ gesungen. Aber auch er weiß, dass wir alle der Wahrheit trotzdem nicht entkommen, dass das Leben eine einzige Beziehungskiste ist.
Darum ist es eigentlich immer an der Zeit, dass die Seele eine Stärkung gebrauchen kann, und Worte, die in uns die Sehnsucht wach halten. Vielleicht auch einen, der für uns betet. Wir kennen solche Zeiten in unserem Leben, Zeiten der Sehnsucht nach einem Zeichen von Gott, Zeiten des Wartens auf eine Stärkung des Glaubens und der Liebe in uns.
Und da trifft es sich gut, dass kein Geringerer als der Apostel Paulus heute für uns, ja für jeden einzelnen Christenmenschen auf die Knie geht, um für dich und mich zu beten. Das ist schon mal nichts anderes als eine Geste der Liebe. Jemanden zu haben, der für mich betet und jemanden zu haben, für den man auf die Knie gehen und beten kann, das ist ein Zeichen höchster Liebe. Und wir merken an seinem Gebet, das ein einziges großes Loblied ist, dass er dich und mich sehen kann, wie wir uns selbst viel-leicht schon lang nicht mehr sehen können. So vieles hat uns im Lauf der Jahre den Blick verstellt dafür, wer wir in Wahrheit sind.
Deshalb sagt gleich die erste Strophe, dass wir Kinder Gottes sind, die einen himmlischen Vater haben. Du bist ein Kind Gottes. Du bist ein Gottesgeschenk. Wenn das keine Liebeserklärung ist! Ja, du bist Asche und Staub. Aber das ist nur die eine Hälfte der Wahrheit. Die andere heißt: Wegen dir hat der himmlische Vater die Welt er-schaffen. Wertvoller kannst du für ihn gar nicht sein! Das ist der Grund dafür, warum dein Leben eine einzige Beziehungskiste ist, die im Herzen Gottes begonnen hat und eine Liebesgeschichte ist. Und dann ist Paulus in seinem Gebet gar nicht mehr zu bremsen.
Wir alle wissen, wie eine Liebe einen Menschen zum Blühen bringen kann. Er wächst über sich hinaus. Man kennt ihn gar nicht wieder. Und ganz genauso kann die Liebe Gottes seine Kinder als Christenmenschen zum Blühen bringen und sie über sich hinauswachsen lassen. Auch wenn sie alt und grau werden, kann er ihnen Kraft geben in der Seele. Meister Eckhart, der große spirituelle Lehrer des Mittelalters, meinte sogar, dass Christenmenschen mit zunehmenden Alter des Körpers in der Seele immer jünger werden. Sie wachsen wieder ihrem Anfang entgegen. Denn in Gott ist kein Ende, sondern unendliches Beginnen. Meister Eckhart ist der Professor für Theologie und Philosophie, der ein Leben lang den Christus gepredigt hat, der nicht nur im Stall von Bethlehem alle Jahre wieder geboren werden will, sondern der dies nur aus dem einen Grund getan hat: Damit er auch in der Seele und im Herzen eines jeden Menschen geboren werden und dort wohnen kann.
Weil wir nur so Gott und uns selbst erkennen und verstehen können. Glauben ist nicht nur Gefühlssache. Der Verstand darf schon mit, wenn es um die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe Gottes geht. Und da fällt sofort auf, dass die Liebe Gottes nicht drei, sondern vier Dimensionen hat. Nicht nur Länge, Breite und Höhe, sondern auch Tiefe.
Es gibt viele, die verstandesgemäß so ihre Probleme haben mit dieser Liebe Gottes. Insbesondere damit, dass sie sich in so etwas Schrecklichem verbergen soll wie dem Leiden und Sterben Jesu am Kreuz. Dabei wissen wir doch alle, dass wahre Liebe nicht aufgibt, auch wenn sie vielleicht unerfüllt bleibt und mit Entbehrungen und Schmerzen und Leiden verbunden ist. Was ist eine Liebe wert, die nur lebt, solange es Spaß macht? Und was hilft mir ein Christus, der fröhlich in seiner himmlischen Herr-lichkeit sitzt, während ich durch die Hölle muss? Eben! Das meint die Tiefe der Liebe Christi, dass ich auch dort nicht alleine bin oder gottverlassen und beziehungslos.
Denn nichts hilft mir dort unten als jemand, der die Hölle mit mir aushält. Die Dunkelheit, die Angst, die Ausweglosigkeit. Und jemand, der für mich bittet. Am wenigsten helfen Appelle: Das wird schon wieder, das schaffst du schon. Sie helfen gar nichts, wenn über mir gerade eine Zeit des Erleidens, der Klage oder des bloßen Aushaltens hereingebrochen ist. Da ist es nichts mit dem eigenen Schaffen. Daran sollten diejenigen denken, die immer so gerne appellieren an das das eigene Tun und das eigene Anstrengen. Alleine schaffen wir gar nichts.
Und das gilt auch für das Gute, das wir einander gegenseitig tun können. Und das Gute, das wir Gott tun können. Appelle bringen da nicht viel. Auch daran erinnert uns der Apostel Paulus, dass wir unserem Schöpfer doch gar nichts zu geben haben, was er uns nicht zuvor geschenkt hat. Daher ist der Appell an unsere Anstrengung auch hier in der Kirche meistens fehl am Platz. Die Redeform der frohen Botschaft ist die Bitte. Darum betet Paulus heute für uns, dass Gott uns so reichlich beschenkt, dass wir gar nicht anders können, als diese Geschenke im Glauben auszupacken und uns über sie zu freuen. Denn mit dem Glauben ist es ja nicht viel anders, als mit einem guten Witz. In dem Moment wo wir ihn hören und verstehen, überlegen wir nicht erst, ob wir lachen sollen. Und wenn uns jemand freundlich und liebevoll anlächelt, was machen wir dann? Eben!
- Jan Freiwald, 21.5.2023